Hundert Jahre Einsamkeit

Nach dem Ende meiner Touren ins Plagefenn will ich noch Informationen zum Thema nachreichen. Einige davon standen bereits in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 4. Februar 2007, exakt zum 100. Gründungstag des ältesten deutschen Flächen-Denkmals. Für diese Geschichte in der FAS hatte ich Dr. Eberhard Henne, Chef des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin, interviewt. Daraus ein knappes Zitat:

"Als Wildnisgebiet ist das Plagefenn trotz seiner geringen Größe ein einzigartiges Kleinod. In solchen sich selbst überlassenen Landschaften erleben wir immer wieder Leute, die sagen ´Mein Gott, wie sieht das aus! Kann man hier nicht mal aufräumen?` Aufgeräumt wird im Plagefenn seit 100 Jahren nicht. Über die Schönheit einer Wildnis will ich nicht reden, die empfindet man oder empfindet sie nicht. Zu reden ist aber über den wirtschaftlichen Wert sich selbst überlassener Natur: Wir lernen daraus für den Wald der Zukunft - beispielsweise, welche Baumarten die neuen Stressfaktoren, den Klimawandel, die Temperaturanstiege und die Trockenheit am besten aushalten."

Besonders gut gehalten hat sich übrigens in der sich selbst regulierenden Wildnis die Hainbuche.

Das Labor Plagefenn und der angrenzende Plagesee wurden am 4. Februar 1907 vom Preußischen Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zum Naturdenkmal erklärt. Damit ist die zwischen Zisterzienserkloster Chorin und Ökodorf Brodowin gelegene Endmoränen-Landschaft, so lässt sich mit einiger Sicherheit sagen, das erste Flächendenkmal Deutschlands. Vorherige Naturdenkmale, beginnend 1836 mit dem Drachenfels im Siebengebirge, waren Einzeldenkmale.

Im selben Jahr 1907 wurde in Deutschland als weitere Fläche der Urwald Sababurg im Reinhardswald (Hessen) unter Schutz gestellt. Die Besinnung auf den Wert unzerstörter Natur" gehörte zum Geist jener Zeit. Der Biologe Hugo Conwentz hatte 1904 das Manifest dazu geschrieben. Seine Denkschrift "Die Gefährdung der Naturdenkmale und Vorschläge zu ihrer Erhaltung" gilt heute als Geburtsurkunde des Naturschutzes in Deutschland. Kurz danach gründete das Preußische Kulturministerium eine "Staatliche Stelle für Naturdenkmalspflege" als erste Behörde dieser Art in Europa - mit Conwentz als Kommissar an der Spitze.

Den Antrag, das Plagefenn mit seinen Brüchen, Mooren und Wäldern und dem angrenzenden Großen Plagesee zu schützen, hatte erst kurz zuvor, am 29. Dezember 1906, der zuständige Choriner Oberförster Dr. Max Kienitz (1849 - 1931) eingereicht. Aber so schnell wie das hier erscheint, schossen selbst damals die Preußen nicht: Der Forstbeamte Kienitz folgte mit dem Antrag zwar seiner Liebe zu dieser Landschaft und seiner oft bestätigten Überzeugung vom Wert intakter Natur, aber gleichzeitig auch einer offiziellen Aufforderung seines Ministers: wertvolle Naturlandschaften sollten als Naturdenkmale vorgeschlagen werden, sofern damit keine wirtschaftliche Interessen verletzt würden. Klingt irgendwie bekannt - solche Floskeln gehören, wie wir wissen, auch nach hundert Jahren zu (fast) jedem Naturschutzprojekt.

Das zum Naturdenkmal erhobene Plagefenn hatte eine für damalige Zeiten erstaunliche Größe: 177, 2 Hektar, davon 61, 8 Hektar ertragloses Fenn, bestehend aus Erlenbrüchen, Hoch- und Flachmooren, 36, 7 Hektar Wald und 78, 7 Hektar Wasser - den Großen Plagesee. Den stärksten Schlag in den 100 Jahren musste die Landschaft Ende der siebziger Jahre hinnehmen. Ein Graben nördlich des Kleinen Plagesees wurde auf eine Tiefe von vier Metern ausgebaut. Wie Dierk Michaelis, der 1995/96 als bislang Letzter den Zustand und die Vegetation des Fenn wissenschaftlich untersuchte, dazu schrieb,

(verlor danach die) "zusammenhängende Kette von Mooren und Seen ... dramatisch an Wasser. Aus Schwingmooren wurden Standmoore, die mit sinkendem Wasserstand mineralisieren und Nährstoffe freisetzen. Große Moorflächen sind einer Verbuschung und Bewaldung ausgesetzt ...".

Nach Bildung des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin 1990 wurde das alte Naturschutzgebiet zur Schutzzone I (Kernzone, Totalreservat) erklärt, auf 290 Hektar erweitert und mit einer Schutzzone II von 600 Hektar umgeben.

Erlaufen lässt sich das Plagefenn von Sandkrug an der B 2, vom Kloster Chorin oder von Brodowin aus. Am Rande der nicht zu betretenden Kernzone zieht sich der rund drei Kilometer lange Fennweg entlang. Das Biosphärenreservat bietet Wanderungen zum Plagefenn an. Selbst vom Wege aus lässt sich die Schönheit dieser Wildnis ahnen.